60 % mehr ermordete Christen
Open Doors veröffentlicht Weltverfolgungsindex 2021.
Der Verein Open Doors versteht sich als Sprachrohr für verfolgte
Christen. Jedes Jahr veröffentlicht er den Weltverfolgungsindex. Am
13.01.2021 ist die neueste Auflage erschienen. Oliver Jeske vom Team ERF Aktuelles hat darüber mit dem Leiter von Open Doors, Markus Rode, gesprochen.
ERF Medien: Herr Rode, der Weltverfolgungsindex nimmt in
diesem Jahr 50 Staaten in den Blick, in denen Christen wegen ihres
Glaubens besonders stark verfolgt werden. 309 Millionen Menschen in
diesen Ländern sind von sehr hoher bzw. extremer Verfolgung um ihres
Glaubens willen betroffen. Wie definieren Sie sehr hohe bzw. extreme
Christenverfolgung?
Markus Rode: Der Weltverfolgungsindex ist ein Index, d. h. die
Rangliste ergibt sich aus einer Punktzahl. Wir haben als maximale
Punktzahl für Verfolgungsintensität 100. Wir haben drei Level definiert.
Das erste Level bedeutet hohe Verfolgung und geht von 41 bis 60
Punkten. Von 61 bis 80 Indexpunkten folgt der zweite Level, also sehr
hohe Verfolgung. Dann gibt es die extreme Verfolgung von 81 bis 100
Punkten.
Was wesentlich ist an dem diesjährigen Weltverfolgungsindex: Früher
fanden wir Länder in allen drei Leveln in unserer Untersuchung. Doch die
Intensität der Verfolgung hat sich mittlerweile so erhöht, so dass wir
nur noch sehr hohe und extreme Verfolgung vorfinden. Das zeigt, dass die
Intensität insgesamt zugenommen hat.
Früher hatten wir eine Karte, die hatte gelb, orange und dunkelrot in
den Länderflächen. Wir haben jetzt leider nur noch orange und
dunkelrot. Gelb ist komplett rausgefallen.
Karte Weltverfolgungsindex 2021
Der Druck auf Christen nimmt zu
ERF Medien: Sie haben
auch Fälle von Christen erfasst, die um ihres Glaubens willen getötet
wurden. Wie ist die Entwicklung und wie sind die aktuellen Zahlen? Was
hat sich vom Berichtszeitraum 2019 zu 2020, also zu Ihrem aktuellen
Bericht, verändert?
Markus Rode: Im Weltverfolgungsindex 2020 haben wir 2.983 Fälle von
ermordeten Christen dokumentiert. Im Weltverfolgungsindex 2021 sind sie
angestiegen auf 4.761 Fälle, also eine Zunahme von 60 Prozent.
Bemerkenswert ist, dass 91 Prozent dieser Gewalttaten als Ermordungen
von Christen in Afrika stattgefunden haben und 8 Prozent in Asien.
ERF Medien: Wie lässt sich diese Zunahme erklären?
Markus Rode: Die Zunahme hat verschiedene Ursachen. Eine Ursache
dafür ist, dass Dschihadisten-Gruppen gerade in Failed States – in
Staaten, wo es keinen Schutz für Christen gibt – eine große Freiheit
gewonnen haben auch durch Covid-19. Sie haben das Vakuum eines Lockdowns
ausgenutzt. Sie sind in Regionen unterwegs gewesen, wo kein Schutz
durch die Regierung mehr vorhanden ist. Da sind sie aktiv, gehen in
christliche Dörfer, ermorden Christen, Frauen, Kinder, Männer wahllos.
Das Ziel ist natürlich, dass sie ein Kalifat aufrichten wollen.
Besonders stark ist das ganze Thema in Mosambik gewesen. Mosambik hat
einen Zuwachs von 20 Punkten im Weltverfolgungsindex bekommen. Dort ist
die Gewalt extrem hoch. Auch dort wollen Islamisten ein Kalifat
errichten.
Covid-19 verstärkt den Verfolgungsdruck
ERF
Medien: Als Organisation operiert Open Doors sehr stark in Bereichen,
wo es sicherlich schwer ist, zuverlässige Zahlen zu bekommen. Rechnen
Sie mit einer hohen Dunkelziffer von Menschen, die Sie gar nicht
erfassen können, wenn es um Ermordung um des Glaubens willen geht?
Markus Rode: Ja. Wir müssen leider von einer hohen Dunkelziffer
ausgehen. Wir können nicht in jedem abgelegenen Gebiet genau analysieren
und feststellen: Wer ist ermordet worden? Wir sind relativ dicht dran,
was das Thema Information betrifft, weil wir ein sehr weit gefächertes
Netzwerk haben. Aber wenn wir zum Beispiel nach Nordkorea schauen: Was
geschieht in den Arbeitslagern dort? Wie viele Christen werden ermordet?
Dort haben wir keinen Zugang. Also müsste man diese Zahlen noch
addieren. Ich glaube, es wäre eine erheblich höhere Anzahl.
Christen mussten Gras essen
ERF
Medien: Lassen Sie uns auf ein Thema zu sprechen kommen, das man
vielleicht auf den ersten Blick gar nicht mit Christenverfolgung in
Verbindung bringt: die aktuelle Corona-Pandemie, die unsere ganze Welt
inzwischen erfasst hat. Sie haben in Ihrer Studie auch die Folgen dieser
Pandemie für die Christenverfolgung erfasst. Was beobachten Sie?
Markus Rode: Covid-19 hat den Verfolgungsdruck deutlich verstärkt.
Zum einen ist es so, dass mehr christliche Frauen und Mädchen entführt
und zwangsverheiratet wurden. Das ist in einer Phase des Lockdowns
gewesen. Es ist auch so, dass letztendlich die Attacken von Islamisten
zugenommen haben. Das bedeutet, wir haben letztendlich in einer
Situation des Lockdowns den Schutz für diese Christen nicht gehabt,
besonders auch in Afrika. Und somit sind die Attacken deutlich
angestiegen.
Doch es gibt noch einen weiteren Punkt: Die Versorgung von Christen
hat nicht stattgefunden. Das heißt, Christen, die Lebensmittelkarten
hatten, haben sich um Lebensmittel angestellt, aber sie haben keine
Hilfe bekommen, weil sie Christen waren. Ich musste leider auch hören,
dass in Zentralasien Christen gezwungen waren, Gras zu essen, weil sie
keine Möglichkeit hatten, versorgt zu werden. All das ist letztlich
durch Covid-19 nochmal deutlich verstärkt worden. Einige wurden sogar
beschuldigt, sie seien verantwortlich für die Pandemie.
ERF Medien: Daneben gibt es einige Ereignisse im Jahr 2020,
die es zum Teil jedenfalls in die Medien geschafft haben. Vielleicht
können Sie nochmal einiges nennen, was passiert ist in dem Bereich,
woran man auch sehr deutlich gesehen hat, wie Christenverfolgung
institutionell greift.
Markus Rode: Wir haben einige besondere Nachrichten gehört, zum
Beispiel aus der Türkei. Dort wurde die Hagia Sophia umgewandelt in eine
Moschee. Das ist einfach ein Zeichen für den Nationalismus, der dort
stattfindet. Wir haben auch festgestellt, dass sich die gewalttätigen
Übergriffe gegen Christen, besonders auch in Indien, deutlich verstärkt
haben. Das sind Vorgänge, die uns Sorgen machen.
Nichtregierungsorganisationen müssen Indien verlassen. Es wird versucht,
jegliche Form von Verbindung vom Ausland zu kappen.
Blicken wir in den Norden Syriens: Unter den Kurden gibt es viele
Christen, die erst vor dem IS geflohen sind und jetzt erneut von den
Bombardements durch die Türkei. Das bewegt und erschreckt uns, weil
diese Menschen hoch traumatisiert sind und erneut fliehen müssen.
ERF Medien: Welche Handlungsaufforderung ziehen Sie aus dem
aktuellen Weltverfolgungsindex? Wo sollten sich die deutsche
Bundesregierung und die EU stärker engagieren bzw. anders positionieren
als bisher?
Markus Rode: Uns ist die Erkenntnis wichtig, dass Christen in diesen
Ländern des Weltverfolgungsindex besonders verletzlich und unter Druck
sind. Diese Erkenntnis führt dann auch dazu: Wenn Hilfe nach
Katastrophen, Kriegen und Vertreibungen stattfindet, dann sollte auch
darauf geachtet werden, dass gerade Christen auch mit einbezogen werden
in diese Unterstützung und Hilfe. In der Regel geht diese Hilfe, zu
großen Teilen auch die Hilfe der UN, an den Christen vorbei, weil zum
Beispiel Hilfslieferungen eben nicht an sie verteilt werden.
Auch viele Flüchtlingslager sind nicht dazu ausgelegt, dass es dort
Schutz für Christen gibt. Sie müssen sich von den Flüchtlingslagern
fernhalten. Das sind alles Dinge, die in der Vergangenheit nicht
ausreichend berücksichtigt wurden. Das wünschen wir uns für die Zukunft.
Den Finger in die Wunde der Religionsfreiheit legen
[b]ERF
Medien: Sie hatten China bereits erwähnt. Ein neues Ein neues
Handelsabkommen zwischen China und der EU ist in greifbare Nähe
gerückt.Wie sehen Sie diese komplizierte Beziehung zu dem Reich der
Mitte?
Markus Rode: Gut, wir beschäftigen uns nicht an erster Stelle mit
Handelsabkommen. Ich kann nur sagen, die Verbindung zu China ist
natürlich eine sehr wirtschaftlich dominierte Verbindung. Ich würde mir
wirklich wünschen, dass viel deutlicher angesprochen wird, was dort
gerade geschieht, gerade was die Überwachung der Menschen und die
Einhaltung der Menschenrechte betrifft, besonders auch die der Christen.
Denn die Christen sind eine enorm große Bevölkerungsgruppe in China.
Es gibt über 100 Millionen Christen dort, das sind mehr als die
Mitglieder der Kommunistischen Partei. Insofern fehlt mir hier
eindeutig, dass der Finger in diese Wunde gelegt wird und dass man
deutlich Religionsfreiheit für die Christen fordert.
Erste Hilfe: Gebet
[b]ERF Medien: Wenn
jemand dieses Interview liest und sagt: „Ich bin weder Politiker, noch
habe ich sonst eine herausragende Position, in der ich besonders
Einfluss nehmen kann.“ – Wie kann man sich in seinem Umfeld für mehr
Religions- und Glaubensfreiheit einsetzen, Herr Rode?
Markus Rode: Das erste, was verfolgte Christen brauchen, ist das
Gebet. Das ist das, was sie auch immer benennen. Ich glaube, den größten
Einfluss haben wir tatsächlich als Christen, wenn wir für unsere
verfolgten Glaubensgeschwister beten. Und natürlich in einer Zeit, wo
der Druck so enorm zunimmt, wie das jetzt gezeigt wird im neuen
Weltverfolgungsindex, sollten wir an ihrer Seite stehen, ihnen helfen,
sie versorgen und nicht einfach zuschauen, wie sie in Isolation
getrieben werden. Wir haben Möglichkeiten, ihnen zu zeigen: Wir stehen
an ihrer Seite.
Und das wünsche ich mir für jeden Christen, für jede Gemeinde, dass
die verfolgte Gemeinde nicht eine Option ist, sondern ein fester
Bestandteil unseres Gebets, Lebens und der Gottesdienste.
ERF Medien: Markus Rode von Open Doors, vielen Dank für das Gespräch![/b][/b]